Santa Cruz, Beni
Als wir die Grenze nach Bolivien passiert hatten, fühlten wir uns 100 Jahre zurück versetzt. Die Strasse glich einem Schweizer Käse, so muss es damals auch bei uns in Europa ausgesehen haben. Na das kann ja heiter werden, denn für die nächsten 500 km würde sich diese nicht ändern. So hoppelten wir mit einer Maximalgeschwindigkeit von 30 km/h den Schlaglöchern und Steinen ausweichend durch das Tiefland von Bolivien.
In der Zwischenzeit wussten wir, welche Strassen uns in diesem Land erwarteten und auch an die regelmässigen Militärkontrollen hatten wir uns gewöhnt. An einer sorgten wir allerdings für etwas Aufruhe. Hätten wir die Frage, ob wir „Ambulancia“ sind, mit ja beantwortet, hätte man uns fast ohne die übliche in Augenscheinnahme unserer Papiere durchgelassen. Aber lügen wollten wir natürlich nicht. Am Ende stellten wir uns jedoch die Frage, ob es nicht besser gewesen wäre. Über 30 Minuten hielt man uns in der glühenden Hitze fest. Wir waren an zwei Jungsters geraten, die absolut keinen blassen Schimmer hatten, was sie mit unserer Spezies Tourist anfangen sollten. Die Verzweiflung war ihnen ins Gesicht geschrieben. Eigentlich wollten sie unseren Nisto einer genaueren Durchsuchung unterziehen, aber nach dem Blick ins Innere verging ihnen der Spass. „Warum gerade wir?“ hörten wir sie sagen. Sie taten uns schon ein Bisschen leid. Immer wieder redeten wir auf sie ein, dass sie uns doch einfach durchlassen sollen. Wir wollen nichts Böses, sind auch keine Drogenhändler und an den vorangegangenen Kontrollen gabs nie Probleme. Aber die Angst vor dem Chef war grösser. Sie baten uns auf diesen, der in einer Stunde zurück kommen würde, zu warten. Den Wunsch wollten wir ihnen aber nicht erfüllen. Bis dahin würde es dämmern und einen Schlafplatz mussten wir auch noch suchen.
Wir waren gerade mal zwei Tage in Bolivien, aber wir hatten schon von den Einheimischen gelernt. Wenn diese ihre Unzufriedenheit gegenüber der Regierung ausdrücken wollen, blockieren sie die Strassen. Und das taten wir auch. Als nämlich ein LKW von der anderen Seite auf die Schranke zu fuhr, baten uns die beiden zur Seite zu fahren. Is nicht, wir bewegen uns weder nach rechts noch nach links, lediglich geradeaus. Unsere Hoffnung war, dass wir durch diese Aktion, den LKW-Fahrer dazu bringen könnten, die beiden davon zu überzeugen, uns durch zu lassen. Leider dachten unsere europäischen Köpfe da falsch. Er regte sich zwar für einen kurzen Moment auf, nutzte dann aber die Zeit und räumte seine Fahrerkabine auf. Schliesslich fuhr dann doch einer zum Chef, im 5 Minuten entfernten Dorf, um um Hilfe zu bitten. Als er zurückkam entschuldigte er sich tausend Mal. Sie hätten noch nie Touristen gehabt. Einmal ist immer das erste Mal, kein Problem.
Nun ging es an die Suche nach einem Schlafplatz. Bereits im Vorfeld hatten wir uns Gedanken gemacht, ob wir auch hier für uns sichere Plätze finden? Ja, und richtig schöne dazu. Zwar schienen die Menschen vorsichtiger zu sein, aber hatten sie uns erst mal beschnuppert, wurden wir teilweise sogar der ganzen Familie präsentiert und zu Kaffee sowie frischem Brot eingeladen.
Nachdem wir die Missonssiedlungen im Osten Boliviens besucht hatten, wollten wir uns durch das Tiefland nach Westen vorarbeiten. Allerdings nicht auf dem „üblichen“ Touristenweg. Armin, den wir im Pantanal getroffen hatten, berichtete von einer Strasse abseits der Hauptroute, welche schön aber auch sehr sandig sein soll. Sie sei nicht auf den Karten eingezeichnet und auch die Bolivianer wissen nur streckenweise von dieser Route. Aber sie existiert. Wir mussten nicht lange nachdenken, das sollte unser Weg nach Rurrenabaque werden, und wir wurden mit reichlich Tieren belohnt. In der Zwischenzeit hatten Gelbbrustaras den Riesentukan abgelöst. Teilweise kamen wir an Bäumen vorbei, die voll von ihnen waren. Aber auch hunderte von Störchen besetzten die Baumkronen am Wegesrand. Diese Eindrücke in Worte zu beschreiben, ist fast nicht möglich. Diese Momente werden wir nie vergessen. Eines Abends, es war schon dunkel, und wir genossen die kühle Brise, raschelte es in dem Baum direkt neben uns. Mit der Taschenlampe hatten wir schnell die Herkunft ausfindig gemacht und schauten in zwei riesige, kugelrunde Augen, eines winzig kleinen Äffchens. Später erfuhren wir, dass wir einem Nachtaffen oder auch Eulenaffen auf die Schliche gekommen waren.
Während wir uns zu Anfang noch von Dorf zu Dorf durchfragten, kamen wir immer seltener an Zivilisation vorbei. In der Zwischenzeit bestand die „Strasse“ nur noch aus zwei Sandstreifen, die über riesige Kuhweiden führten. Wir mussten zig Gatter öffnen. Während wir zu Anfang noch fleissig mitzählten, gaben wir nach 30 auf. Plötzlich waren die Spuren verschwunden, und wir standen neben einem Farmhaus. Schnell nachgefragt: „Ja, ja, wir seien auf dem richtigen Weg. … Adelante, adelante, … Immer weiter, immer weiter.“ Na gut, noch einmal ging es quer über eine Estanzia. Auf der anderen Seite konnten wir mit viel Phantasie Spuren erkennen. Aber es wurde immer schwerer etwas auszumachen, was annähernd nach Autospuren aussah. Daher kam es nicht selten vor, dass wir kreuz und quer über eine Weide fuhren, bevor wir dann doch einem einzelnen Sandstreifen, der genauso gut von Kühen hätte getrampelt sein können, folgten. Sobald wir jemanden trafen, was nicht sehr häufig vorkam, und wenn dann zu Pferd, fragten wir nach. Aber die einzige Richtungsangabe, die wir bekamen war: Adelante, adelante … immer weiter, immer weiter. Wenn das mal keine hilfreiche Wegbeschreibung war. So kam es, dass wir irgendwann völlig verloren auf einer Wiese standen und nicht mehr ein noch aus wussten. Hinzukam, dass diese noch teilweise unter Wasser stand. Im dritten Matschloch blieben wir dann stecken. Nun würde tatsächlich unsere Seilwinde zum Einsatz kommen. Ein Baum war allerdings weit und breit nicht zu sehen. Also mussten die Zaunpfähle herhalten. Der Erste knickte schon allein vom Hinschauen wie ein Zahnstocher um. Aber der zweite trotzte den rd. 4 Tonnen von Nisto, und ein paar Minuten später stand er wieder im Trockenen. Die nächsten kritischen Stellen nahmen wir mit Vollgas.
Nach 5 Tagen erreichten wir Rurrenabaque. Hier wollten wir Nisto eine kleine Pause gönnen. So zogen wir für drei Tage in eine Ecolodge in der Pampa. Bei Bootsfahrten auf dem Fluss Yacuma genossen wir die Natur und die Tiere aus einer anderen Perspektive. Auch wenn wir die einen oder anderen Tiere bereits kannten, wir freuten uns über jede Begegnung. Ausserdem gab es auch für uns immer wieder etwas Neues zu entdecken. Pinke Flussdelphine begleiteten uns, Schildkröten lagen teilweise übereinander in der Sonne und diverse Affenarten kletterten von Baum zu Baum. An einem Abend versuchten wir uns im Piranha fischen. Diesen eilt ein sehr blutrünstiger Ruf voraus, dem aber nicht so ist. Wir hätten sogar in dem Fluss baden können, sie hätten reissaus genommen. Einzige Voraussetzung: Keine offenen Wunden. Mit einer einfachen Angelschnur, einem Haken und einem frischen Stück Fleisch bewaffnet, standen wir auf dem Boot und warteten auf den grossen Fang. Und tatsächlich, die meisten sprangen zwar wieder von der Angel, hatten wir Glück. Die Zahnreihen sind schon sehr beeindruckend.
Nach diesen wunderschönen Erlebnissen im bolivianischen Tiefland machten wir uns wieder auf in die höheren Lagen. Für die nächsten Wochen heisst es, dünne Luft atmen.
Bis bald
Markus und Sonja